Die deutsche Drogenpolitik war auch in der vergangenen Bundestagswahl mal wieder ein kontrovers diskutiertes Thema. Die Bundesregierung verteidigt ihren hartnäckigen Kurs im Umgang mit Cannabis und verweist immer wieder auf die Risiken, die ein regelmäßiger Cannabis Konsum birgt. Im Rahmen einer aktuellen Anfrage der FDP-Fraktion zu „aktuellen Entwicklungen auf dem deutschen Drogenmarkt” musste die Bundesregierung gleich zu mehreren Fragen bezüglich Konsumverhalten, Sicherstellung, Verbreitung synthetischer Cannabinoide und Importmengen von Cannabis Stellung beziehen. Die Anfrage wurde durch den Sprecher für Drogen- und Suchtpolitik der FDP-Fraktion Dr. Wieland Schinnenburg und weiterer FDP-Abgeordneten gestellt.
In einer Vorbemerkung zur Stellungnahme verweist die Bundesregierung noch einmal auf ihren grundsätzlichen Kurs beim Thema Drogen: „Insgesamt verfolgt die Bundesregierung eine ausgewogene Drogenpolitik, die auf Prävention, Beratung und Behandlung, Hilfen zum Ausstieg, Maßnahmen zur Schadensreduzierung sowie dem Vorgehen gegen Drogenkriminalität basiert.” Inwiefern der momentane Umgang mit Drogen tatsächlich die besagten Ziele der Bundesregierung fördert, liegt im Auge des Betrachters. FDP, Grüne und Linke kritisieren den momentanen Umgang mit Drogen scharf und verweisen darauf, dass die aktuelle Repressionspolitik weder zur Verbesserung der Sicherheit der Konsumenten noch zu einer Abnahme des Drogenkonsums insgesamt führt.
Cannabiskonsum gehäuft bei jungen Erwachsenen mit hohem Bildungsstand
Im Rahmen der besagten Anfrage wurde sowohl die Lebenszeitprävalenz als auch die 12-Monats-Prävalenz von Cannabiskonsum in Deutschland abgefragt. In der Stellungnahme der Bundesregierung wurde auf die Daten des IFT (Institut für Therapieforschung) aus dem Jahr 2018 verwiesen. Demnach haben 28,3 % der Erwachsenen (18-64 Jahre) in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. Der Anteil an Erwachsenen, die mindestens einmal Cannabis im letzten Jahr konsumiert haben, lag bei 7,1 %. Wir empfanden diese Zahlen als nicht detailliert genug, da hier lediglich der gemittelte Anteil über eine sehr große Altersgruppe herangezogen wurde. Deshalb haben wir noch einmal genauer hingeschaut.
Aus einem Bericht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2019 geht hervor, dass der Anteil der jungen Erwachsenen (18-25 Jahre) die mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert haben bei 42,5 % liegt, der Anteil jener, die mindestens einmal im letzten Jahr konsumiert haben, lag bei 23,0 %. Der Anteil an Konsumenten unter den jungen Erwachsenen mit hohem Bildungsstand lag höher als unter jungen Erwachsenen mit einem mittleren Bildungsstand. Der Umstand, dass Cannabiskonsum gehäuft bei Personen mit hohem Bildungsstand zu verzeichnen ist, deutet darauf hin, dass Cannabiskonsum offensichtlich kein Symptom mangelnder Bildung ist.
Cannabiskonsum überdurchschnittlich hoch bei deutschen Schülern
Des Weiteren wurde die Prävalenz von Cannabiskonsum bei Schülern im Alter von 15 bis 16 Jahren abgefragt. Die Bundesregierung verwies hierbei auf die ESPAD Studie (“The European School Survey Project on Alcohol and other Drugs”), bei der das Konsumverhalten von Schüler*innen der 9. und 10. Klasse in 35 europäischen Ländern erhoben wird. Die deutsche Erhebung findet interessanterweise nur in Bayern statt – Gründe hierfür wurden nicht genannt. Abgefragt wurde wieder die Lebenszeitprävalenz, also der Anteil an Befragten, der mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert hat. Die Spanne bewegte sich zwischen 2,9 % im Kosovo und 28 % in Tschechien, der europäische Durchschnitt lag bei 16 %. Der Anteil deutscher Schüler*innen, welche bereits Cannabis probiert hatten, lag mit 22 % weit über dem europäischen Durchschnitt.
Sichergestellte Mengen an Cannabiskraut und Harz deutlich gestiegen
Die Anfrage der FDP-Fraktion enthielt mehrere Fragen zu der Entwicklung sichergestellter Mengen, sowie der Verteilung dieser Mengen auf verschiedene Cannabisprodukte (Kraut, Harz und Pflanzen). Die Stellungnahme enthielt die entsprechenden Angaben aus den Jahren 2009 – 2017, aus denen hervorgeht, dass die insgesamt sichergestellte Menge an Kraut und Harz mit 9026 kg im Jahr 2017 deutlich höher liegt als noch im Jahr 2009 (6518 kg).
Die Anzahl sichergestellter Marijuanapflanzen hingegen war über die Jahre 2009 – 2017 durchwachsen mit einer Höchstmenge von 154 621 Pflanzen im Jahr 2015. Im Jahr 2009 waren es 127 718 Pflanzen, im Jahr 2017 waren es 101 598 Pflanzen. Ob die insgesamte Zunahme sichergestellter Mengen an Cannabiserzeugnissen tatsächlich durch einen gestiegenen Konsum zu erklären ist, geht aus den Zahlen nicht hervor. Ein weiterer Grund für den Anstieg könnte auch eine verstärkte Verfolgung dieser Delikte durch Polizei und Justiz sein. Zur Enttäuschung der Antragsteller konnte die Bundesregierung keine Angaben zur Entwicklung dieser Zahlen in den letzten drei Jahren machen.
Erhebliche Gesundheitsrisiken für Konsumenten durch die Verbreitung synthetischer Cannabinoide
Ein besonderes Augenmerk der Anfrage lag auf der Verbreitung und Überwachung synthetischer Cannabinoide. Die Verbreitung dieser Stoffe ist besorgniserregend, da ihr Konsum mit erhöhten gesundheitlichen Risiken einhergeht. Der deutsche Hanfverband rief den Gesundheitsminister Anfang diesen Jahres in einem öffentlichen Schreiben dazu auf, die Gesundheit von Millionen von Konsumenten durch wirkungsvolle Maßnahmen zu schützen. Die synthetischen Cannabinoide sind wesentlich potenter und können zu (tödlichen) Vergiftungen führen. Herkömmliche Cannabisprodukte werden – für den Konsumenten unbemerkt – mit den synthetischen Cannabinoiden versetzt, um eine stärkere Wirkung des Produktes zu erzielen. Der Konsument hat keine Möglichkeit sich davor zu schützen oder das erworbene Erzeugnis auf die gefährlichen Stoffe prüfen zu lassen.
Daten zur Verbreitung synthetischer Cannabinoide unzureichend
Mit Hinblick auf synthetische Cannabinoide musste die Bundesregierung gleich zu mehreren Fragen Stellung beziehen. Auf die Frage, wie hoch das Aufkommen synthetischer Cannabinoide in Deutschland geschätzt wird, konnte die Bundesregierung bedauerlicherweise keine Angaben machen. Sie konnten lediglich bestätigen, dass sich die Sicherstellung von Cannabiserzeugnissen, welche mit künstlichen Cannabinoiden versetzt sind, in letzter Zeit häufen. Warum keine systematische Prüfung von Inhaltsstoffen bei sichergestelltem Cannabis durchgeführt wird, wurde seitens der Bundesregierung ebenfalls nicht beantwortet, mit dem Verweis auf die Zuständigkeit der Länderpolizeien. Daten zu Rauschgifttodesfällen in Verbindung mit synthetischen Cannabinoiden werden laut Bundesregierung seit 2019 erhoben, wobei für die Jahre 2019 und 2020 insgesamt 20 Todesfälle verzeichnet wurden.
Neue Verbote und Warnmeldungen als Maßnahme zum Konsumentenschutz
Im Rahmen der Anfrage wurde die Bundesregierung darum gebeten zu erläutern, was sie plant gegen die wachsenden Gesundheitsgefahren die von synthetischen Cannabinoiden ausgehen zu unternehmen. Zunächst wurde auf das 2016 in Kraft getretene “Neue-psychoaktive-Stoffe” Gesetz (NPSG) verwiesen. Dieses Gesetz ermöglichte erstmals das Verbot ganzer Stoffgruppen. Zuvor musste jeder Stoff einzeln explizit in das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgenommen werden, was dazu geführt hat, dass Drogenproduzenten die Verbote durch die Einführung minimaler chemischer Veränderung der Ursprungssubstanzen umgehen konnten. Der Stoff fiel dann durch die minimale Veränderung der chemischen Struktur nicht mehr unter das BtMG und konnte “legal” verkauft werden. Durch das NPSG wurde diese Nische geschlossen. Die Stoffgruppe “Cannabimimetika / synthetische Cannabinoide” wurde 2021 in diese Regelung mit aufgenommen.
Als weitere Maßnahme gegen die wachsende Gefahr durch künstliche Cannabinoide wurde auf Veröffentlichungen im Portal “www.drugcom.de” der Bundesregierung verwiesen, welche sich an konsumaffine Personengruppen richtet. Diese Veröffentlichungen sollen auf die Risiken von Cannabiskonsum und Konsum künstlicher Cannabinoide hinweisen. Des Weiteren soll auf dem Portal vor der Verbreitung von synthetischen Cannabinoiden gewarnt worden sein. Auf die Frage, wie aus Sicht der Bundesregierung eine Qualitätskontrolle für Cannabis in Deutschland ermöglicht werden kann, wurde auf das bestehende Verbot von Cannabis zu Rauschzwecken verwiesen, welches anscheinend nicht mit einer Qualitätskontrolle von Cannabis vereinbar ist.
Ungenügende Datenerfassung von Cannabis-bedingten Vergiftungsfällen
Nachdem die Bundesregierung ihre hartnäckige Position immer wieder damit begründet, dass der Konsum von Cannabis erhebliche Gesundheitsrisiken birgt, würde man erwarten, dass schwere Vorfälle sorgfältig dokumentiert werden. Auf die Anfrage, wie häufig Cannabis im Rahmen des Euro-DEN Plus-Netzwerks bei Notfällen wegen akuter Drogentoxizität in Deutschland gemeldet wurde, konnte die Bundesregierung nur auf eine Klinik (Klinikum Rechts der Isar in München) verweisen, welche bei dem besagten Programm beteiligt ist. Die einzigen Daten hierzu sind also nicht repräsentativ für ganz Deutschland.
Cannabis-bedingte Vergiftungen gehen zurück und sind hauptsächlich Folge von Mischkonsum
Im Zeitraum 2014 – 2020 wurden insgesamt 963 Vergiftungsfälle im Klinikum Rechts der Isar verzeichnet. Davon waren 20 % Folge von Cannabiskonsum und 8,5 % Folge des Konsums synthetischer Cannabinoide. Die Entwicklung der Fälle wird wie folgt erläutert: “Sowohl die absolute Zahl der Vergiftungsfälle, an denen Cannabis beteiligt war, wie auch der Anteil an den insgesamt gemeldeten Fällen, ist seit 2014 zurückgegangen. In den Jahren 2014 und 2015 war Cannabis noch an etwa 30 Prozent der gemeldeten Fälle beteiligt, zwischen 2016 und 2019 an 10 bis 20 Prozent. Die vorläufigen Zahlen für 2020 deuten darauf hin, dass diese Entwicklung im Jahr 2020 stabil bleibt. Von insgesamt 193 Vergiftungsfällen mit Cannabisbeteiligung waren 17 Prozent (33 Fälle) monovalente Vergiftungen, in 83 Prozent der Fälle war mindestens eine weitere Substanz beteiligt.”
Vorherrschende Repressionspolitik beim Thema Cannabis ist nicht zielführend
Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der FDP-Fraktion zu „aktuellen Entwicklungen auf dem deutschen Drogenmarkt” geht aus unserer Sicht hervor, dass bisherige Maßnahmen der Bundesregierung nicht zur Eindämmung des Cannabiskonsums geführt haben. Das Konsumverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist überdurchschnittlich hoch im europäischen Vergleich, die „Präventionspolitik”, für die sich die Bundesregierung stark macht hat hier offensichtlich nicht gefruchtet. Als Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen synthetischen Cannabinoiden wurde lediglich die Aufnahme dieser Stoffe in das BtMG und entsprechende Warnhinweise auf einem Regierungsportal genannt.
Cannabiskonsument*innen, welche sich gerne vor diesen gefährlichen Stoffen schützen würden, dürfen sich unserer Meinung nach zurecht auf den Arm genommen fühlen. Die Verantwortung zur systematischen Prüfung von Inhaltsstoffen sichergestellter Cannabisprodukte weist die Regierung von sich. Die Datenerfassung zu Cannabis-bedingten Vergiftungsfällen ist unzureichend, es gibt keine belastbaren Daten für Gesamtdeutschland. Die Frage, ob die Sicherheit von Cannabiskonsument*innen unserer aktuellen Regierung am Herzen liegt bedarf vermutlich keiner weiteren Ausführung.
Oppositionsparteien machen sich für ein Umdenken stark
Neben der FDP machen sich auch Grüne und Linke für ein grundsätzliches Umdenken beim Thema Drogenpolitik stark. Nach dem Motto “Verbote lösen keine Probleme” wird für einen reflektierten Umgang mit Cannabis geworben. Cannabis soll unter strikter Einhaltung von Jugendschutz kontrolliert an Erwachsene abgegeben werden können. Damit kann die Sicherheit der Konsumenten und die wirkungsvolle Durchbrechung des Schwarzmarktes gewährleistet werden. Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der FDP-Fraktion bezieht Antragsteller Dr. Wieland Schinnenburg wie folgt Stellung:
„Wieder einmal zeigt sich die starre Haltung der Bundesregierung zum Thema Drogenpolitik und Cannabis. Aktuelle belastbare Daten können weder zum aktuellen Konsumverhalten noch zur Sicherstellung von Cannabis genannt werden. Trotz der vielfältigen Medienberichte zu Synthetischen Cannabinoiden und zwanzig Todesfällen zwischen 2019 und 2020, wird das Thema kaum verfolgt. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung diese Repressionspolitik beendet, den Weg für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene ebnet sowie die inländische Produktion von Cannabis fördert.“